Der zehnte Monat als Referendarin an einer Berliner Grundschule liegt hinter mir. Das bedeutet, dass bereits über die Hälfte geschafft ist. Ein gutes Gefühl. Und doch weiß ich, dass die größten Hürden noch vor mir liegen. Aber daran kann ich jetzt noch nicht denken.

In den letzten zwei Monaten waren vor allem folgende Erkenntnisse prägnant:

Was es mit diesen Erkenntnissen auf sich hat, erzähle ich in diesem Beitrag.

Nähere Informationen zum Aufbau des Referendariats an Berliner Grundschulen befinden sich in der Übersicht.

Wechselunterricht macht müde

Der April begann für mich und viele andere, die an Schulen arbeiten, mit einem wohlwollenden Event: den Osterferien. Eine Woche entspannen, eine Woche Schulkram vorbereiten, so lautet meine Devise. Wenn das nur so einfach wäre, wie es klingt. Ich muss sagen, ich schwankte im Bezug auf die nächsten Schulmonate immer wieder zwischen Angespanntheit und gefühlter Lähmung, weil momentan alles so unvorhersehbar ist. Das Vorausplanen von Unterrichtseinheiten und -besuchen ist zur Zeit nur möglich, wenn man außerordentlich flexibel auf spontane Änderungen reagieren kann. Und es ist mir manchmal einfach noch nicht möglich, mit Gelassenheit zu reagieren. Stattdessen nagt es an mir.

Nach den Osterferien blickte ich in ähnlich angespannte Gesichter. Viele Lehrkräfte an meiner Schule wollten die Ferienzeit dieses Mal für die eigene psychische Gesundheit nutzen und taten das weitgehend auch. Doch die Effekte sind für die meisten – wie für mich auch – kaum spürbar. Es lastet eine Art unsichtbares Gewicht auf allen Schultern der Schule und ich habe das Gefühl, dass es nicht nur mir in diesem Moment schwer fällt, aufrecht zu gehen.

Die Testpflicht bringt Aufruhr mit sich

Die Testpflicht in Schulen begann für uns am 19. April und sorgte für viel Wirbel in meinem Mikrokosmos und in ganz Deutschland. In einer schulinternen Dienstversammlung erläuterte die Schulleitung die neuen Beschlüsse und gab Hinweise zur organisatorischen Umsetzung der Testpflicht.

Getestet werden die Lerngruppen zweimal wöchentlich in der ersten Stunde. Die Eltern der Lernenden haben die Möglichkeit, ihre Kinder vor der Schule zu Hause zu testen und die negativ getesteten Kinder mit einem unterschriebenen Negativbescheid in die Schule zu schicken. Dafür wurde an meiner Schule eine offene Anfangszeit von 07:50 bis 08:30 Uhr eingerichtet: Die Kinder, die sich in der Schule testen, kommen in der Regel bis 08:05 Uhr in die Schule und testen sich mit der Klasse gemeinsam. Kinder, die zu Hause getestet wurden, kommen für gewöhnlich erst ab 08:20 Uhr und händigen der Lehrkraft den tagesaktuellen Negativ-Bescheid aus. Durch die offene Anfangsphase wird das Ankommen der einzelnen Kinder im Sinne der Abstandsregeln entzerrt. Bisher habe ich gute Erfahrungen mit diesem Konzept gemacht.

 

Selbsttest Corona Schule

 

Die Reaktionen des Kollegiums reichten von innerer Überzeugung über notgedrungene Bereitschaft bis hin zu starken Bedenken und Widerspruch im Angesicht der unklaren Verantwortungspflicht und nicht vorhandenen Fachkompetenz auf Seiten der Lehrkräfte. Jene Bedenken sind verständlich und kommen nicht nur in meinem Kollegium vor, sondern in allen Kollegien der Leute in meiner Referendariats-Bubble und wahrscheinlich in den meisten Kollegien deutschlandweit. Die Schulleitung reagierte verständnisvoll, aber bestimmt und richtete die dringliche Bitte an uns, den neuen Anweisungen Folge zu leisten.

Ich persönlich empfinde die gemeinsamen Testungen als notwendige und teilweise spannende Herausforderung, besonders in den jüngeren Jahrgängen. Zugegeben, ich hatte etwas Panik, als ich ein paar Tage vor meiner ersten Selbsttestchoreografie von einer blutenden Viertklässlerin nach einem Taschentuch gefragt wurde. Sie hatte sich zu Hause getestet und das Teststäbchen wohl etwas zu weit in die Nasenhöhlen geschoben – autsch! Da konnte die gemeinsame Testung mit den Ersties ja nur ein voller Erfolg werden. Aber zu meiner Beruhigung haben wir die Testung gänzlich ohne blutende Nasen überstanden.

Testen im Unterricht

Als Einstieg in das selbstständige Testen für Kinder eignen sich verschiedene Videos, z.B. von der Augsburger Puppenkiste [1], die sich die Kinder am besten gemeinsam mit der Lehrkraft vor der ersten Testung ansehen.

Um die Durchführung zu erleichtern, kann die Lehrkraft den Test parallel zu der Lerngruppe durchführen und die Anweisungen Schritt für Schritt für alle formulieren. Als besonders hilfreich für die ersten Testungen hat sich diese Tischvorlage erwiesen. Hier ist genau gekennzeichnet, welcher Bestandteil des Testkits wo seinen Platz hat, sodass die Lehrkraft während der gemeinsamen Testung genaue Ansagen machen kann, jedes Kind schnell findet, was es braucht und insgesamt weniger Verwirrung herrscht.

Um es etwas stimmungsvoller zu gestalten als eine Routineuntersuchung bei der Hausärztin nebenan, kann man die neue Herausforderung als Forschungsexperiment inszenieren, was es ja streng genommen auch ist. Die Kinder können hier als Leitende ihrer eigenen Forschung agieren und wissenschaftliche Vorgänge anhand ihres eigenen Versuchsaufbaus nachvollziehen. Daraus lässt sich durchaus eine Einheit zum forschenden Lernen basteln, wenn man die Muße hat.

Ich habe mich doch nicht so im Griff…

Im April und Mai standen wieder einige Unterrichtsbesuche an – fünf an der Zahl. Ich möchte hier nur von den Extremfällen berichten und mich dabei vom Lächeln zum Weinen hangeln (wegen der Dramaturgie und so).

Mein Mathe-UB in Klasse 4-6 lief sehr positiv. Ich zeigte eine Unterrichtsstunde zum Thema räumliches Vorstellungsvermögen. Die Kinder mussten verschiedene kopfgeometrische Aufgaben zum Würfel lösen und sich via Haltestelle (siehe Medium des Monats) zu Partnergruppen zusammenfinden, um weitere Rätsel zu knacken.

Kopfgeometrie Würfel 1

Diese Aufgabe ist mit einfacher Kombinatorik lösbar…

Kopfgeometrie Würfel 2

Bei diesen Aufgaben ist schon mehr mentale Akrobatik gefragt!

 

Einer meiner Deutsch-UBs (Klasse 1-3) war zum Scheitern verurteilt. Einmal in meiner Ausbildungszeit kommt die Seminarleitung des allgemeinen Seminars (meine Vorgesetzte) zu einem meiner Unterrichtsbesuche und fungiert als dritte Bewertungs- bzw. Beratungsinstanz. Das war für diesen Deutsch-UB der Fall. Ich hatte allerdings ein Problem: Da die letzte Deutscheinheit beendet und die verbleibende Zeit bis zu den Ferien lächerlich knapp war, war es mir nicht möglich, eine stringente Deutscheinheit zu entwickeln. Also machte ich das Lernwörterheft zum Thema der Stunde, welches die Kinder parallel zum aktuellen Körperprojekt bearbeiten sollten.

Das Lernwörterheft enthält wichtige Wörter rund um den Körper aus dem Grundwortschatz Berlin, die die Lernenden in einer komplexer werdenden Schreibreihenfolge ab- bzw. aufschreiben sollen. Kleine Würfelspiele zu den Lernwörtern sind auch enthalten, um bestimmten Rechtschreibphänomenen spielerisch zu begegnen. Insgesamt also ein stinklangweiliges Thema und sicher keines, das man gerne als Unterrichtsbesuch aufbereiten möchte. Aber ich hatte das Gefühl, dass mir absolut nichts anderes übrig blieb.

Als Einstieg in diese “Rechtschreibstunde” schlug mir der Klassenlehrer vor, die Namen der Kinder falsch an die Tafel zu schreiben und die Reaktionen abzuwarten. Wir hielten es beide für sehr wahrscheinlich, dass mindestens ein Kind ruft: “Mein Name wird aber anders geschrieben!”, worauf ich dann neckisch mit: “Oh, aber das ist doch egal. Oder ist dir das wichtig?”, reagieren könnte, worauf die Kinder wiederum eigenständig Argumente und Beispiele entwickeln würden, warum die richtige Schreibung manchmal wichtig ist. Super Idee, fand ich. Und das ist sie auch, wenn man als Lehrkraft Alternativen parat hat. Hatte ich aber nicht.

Problemstellen der Deutschstunde

Es war 08:45 Uhr, die Stunde konnte beginnen. Hinten aufgereiht saßen meine Schulleitung, meine Fachseminarleitung, meine allgemeine Seminarleitung (Vorgesetzte), der Klassenlehrer und die Bezugserzieherin eines Schülers der Lerngruppe. Großes Publikum für eine Stunde, die nicht aus Leidenschaft, sondern aus der Not geboren wurde. 

Die Kinder wurden angesichts der vielen Leute von alleine etwas ruhiger, also drehte ich mich zur Tafel und schrieb ein paar Namen der Kinder völlig falsch an die Tafel. Ein Erstklässler ruft: “Da steht mein Name!” – ich schrieb weiter und wartete ab, bis der Schüler durch ein paar der anderen Kinder darauf aufmerksam gemacht wurde und sagte: “Ja stimmt, ich werde mit K geschrieben.” In mir machte sich Vorfreude breit und ich fragte: “Ist dir das wichtig?”

Er dachte kurz nach und rief dann laut und entschlossen durch den Raum: “Nee, das ist mir überhaupt nicht wichtig! Das ist mir total egal, wie man mich schreibt”, woraufhin tatsächlich alle anderen Kinder einstimmten und beteuerten, dass es ja darauf nun mal überhaupt nicht ankomme. Lief also super bis hierhin. Ich sah zu meinem erwachsenen Publikum an der hinteren Wand. Alle versteckten sich hinter ihren Unterlagen und ich erkannte sowohl Mitleid als auch Lachtränen in ihren Augen. Vielleicht waren es auch die Spiegelneuronen, denn ich glaube, ich blickte in dem Moment ähnlich verzweifelt aus der Wäsche. Bei mir gingen alle Lichter aus. Ich konnte zwar darüber lachen, aber ich konnte nicht ansatzweise flexibel oder professionell darauf reagieren und bat die Kinder stattdessen für die nächste Unterrichtsphase in den Sitzkreis. Jetzt war also der spannendste Teil meiner Stunde vorüber und den habe ich auch noch versemmelt.

 

Unangenehmer Moment im UB

 

Alles was danach kam, passierte für mich wie im Rausch. Ich vergaß wichtige Materialien zur Veranschaulichung, erklärte den Arbeitsauftrag missverständlich, nutzte die Symbole nicht, die ich vorbereitet hatte und machte zudem ein höchst unmotivierendes Lernmaterial zum Gegenstand der Stunde, was im Nachhinein zu Recht von meiner Seminarleitung kritisiert wurde. Welches Kind freut sich nicht über mehrere Seiten mit Wörtern zum Abschreiben? Dafür lief die Erarbeitungsphase, in der sich jedes Kind zunächst alleine mit dem Lernwörterheft beschäftigen sollte, überraschend positiv. Es war ein kleines bisschen magisch, als alle sofort ihre Köpfe über das Heft neigten, drauflosschrieben und sich eine stille Produktivität im Raum ausbreitete. Nur leider waren die Kids motivierter, möglichst viele Wörter abzuschreiben, als auf die richtige Reihenfolge oder die Rechtschreibung zu achten, was unter anderem an meinen missverständlichen Erklärungsversuchen lag. Konsequenz: Standard verfehlt. Als Krönung hat ein Kind zwischendurch angefangen zu weinen, weil es die Wörter aus Versehen nicht in der vorgegebenen Reihenfolge abgeschrieben hat und sich über sich selbst ärgerte. Das tat mir besonders leid, weil es offensichtlich eher auf mein didaktisches Versagen zurückzuführen war, dass die Abschreibreihenfolge nicht verstanden wurde, als auf die Unaufmerksamkeit des Kindes.

Ich weiß nicht mal mehr wie ich den Unterricht beendet habe. Sicher nicht so, wie ich wollte. Beim Einsammeln der Materialien schossen mir die Tränen in die Augen und der Kloß im Hals war so groß, dass ich kaum sprechen konnte. Meine Fachseminarleitung drückte mir einen Gesprächsleitfaden in die Hand, den ich noch nie gesehen hatte (auch meine Schuld) und sagte: “Sie leiten ja heute das Reflexionsgespräch! Sie können sich ein paar Minuten nehmen.” Ich nickte mit nassen Augen und hochrotem Kopf und verließ vor allen anderen den Raum Richtung Toilette.

Das Reflexionsgespräch lief okay, war aber maximal unangenehm. Der Kloß in meinem Hals schien einfach nicht wegzugehen. Da ich selbst so viel kritisierte, war für die anderen nicht mehr so viel übrig, aber dennoch genug. Was ich aus diesem Unterrichtsbesuch mitnehme, ist bei den “Erkenntnissen auf dem Weg zur Professionalität” zu finden.

Aus Demotivation kann Großes wachsen

Als ich meiner kleinen Lerngruppe (Klasse 1-3) verkündete, dass wir als großen Abschluss des Frühlingsprojekts eigene Frühlingsgeschichten erzählen werden, waren die Gesichter nicht gerade von Vorfreude erfüllt. Sogar lautes Murren und Sätze wie “Och nee, da muss man wieder so viel schreiben” raunten durch den Raum. Begeisterung sah anders aus.

Doch bevor es ans Schreiben ging, mussten erst mal Ideen zu möglichen Orten, Zeiten, Personen und Inhalten einer Frühlingsgeschichte gesammelt und eine Art Storyboard entwickelt werden. Besonders letzteres motivierte die Kids wieder sehr. Für die Storyboards haben wir einfach ein weißes A4 Blatt mehrmals gefaltet, sodass 8 oder 16 kleine Fenster entstehen, die man nummerieren und anschließend wie einen Comic zur eigenen Idee befüllen kann.

Und ja, die Geschichte soll letztendlich niedergeschrieben werden, zumindest von den Kindern, die schon gut schreiben können. Für alle anderen Kinder gab es die Option, die Geschichte mithilfe des Storyboards zu Hause ihren Eltern zu erzählen und das Ganze per Audioaufnahme an mich zu senden. Ich tippte die Geschichten zu Hause ab. Die Kinder, die ihre Geschichte selbst verschriftlichten, gaben ihre Geschichten Stück für Stück bei mir ab. Zusätzlich sollte jedes Kind ein Deckblatt zu seiner Frühlingsgeschichte anfertigen.

An ein paar Tagen las ich immer morgens direkt nach dem Testen die Frühlingsgeschichten der Kinder vor und hatte dabei stets ein unglaublich aufmerksames, liebevolles und begeistertes Publikum. Nach jeder Geschichte durfte die Lerngruppe ihr Feedback an die Autorin oder den Autor der Geschichte richten. Wirklich jedes Kind war nicht nur sichtlich stolz auf seine eigene Leistung, sondern ebenso auf die seiner Mitlernenden, wenn Sätze fielen wie “Wow, ich bin neidisch auf deine Geschichte, du hast das richtig gut gemacht!” oder “Die Geschichten sind alle soooooo toll geworden”. Das war Balsam für die Seele – auch für meine. Es tut einfach gut, zu sehen, dass aus anfänglicher Demotivation eine solche Begeisterung wachsen kann, die sich positiv auf das Selbstwertgefühl und die soziale Eingebundenheit aller auswirkt.

Es folgt ein Lernprodukt von einem Jungen im ersten Lernjahr, dessen Frühlingsgeschichte mich per Audioaufnahme erreichte. Gemeinsam mit dem Storyboard  wurde die Geschichte von allen zuhörenden Kindern in höchsten Tönen gelobt und das zurecht, wie ich finde.

 

Frühlingsgeschichte
Storyboard Frühlingsgeschichte

 

Ich wollte gerne alle erstellten Materialien zu einem Geschichtenheft binden lassen, allerdings erschien mir das im Nachhinein wenig praktisch. Stattdessen dachte ich, es sei schöner, wenn das Geschichtenheft jedes Jahr um eigene Geschichten zu verschiedenen Themen erweitert werden kann. Also entschloss ich mich vorerst dazu, die Geschichten in Klarsichtfolien und einer schönen stabilen Mappe zu “konservieren”. Vielleicht finde ich bald noch eine schönere und trotzdem ebenso flexible Variante.

Medium des Monats

Die Haltestelle ist eine super Methode für kooperative Lernarrangements. Die Methode kann zum Beispiel eingesetzt werden, um relativ leistungshomogene Tandems zu bilden, die gemeinsam an einer Aufgabe arbeiten sollen. Es funktioniert in etwa so:

Die Lernenden erhalten zunächst eine Aufgabe, die sie in Einzelarbeit lösen sollen. Sobald ein Kind glaubt, die richtige Lösung gefunden zu haben, stellt es sich an die Haltestelle und wartet hier auf das nächste Kind, das die Aufgabe gelöst hat. Zu zweit bilden sie nun ein Tandem. Sie suchen sich einen gemeinsamen Arbeitsplatz, vergleichen ihre Lösungswege miteinander und korrigieren sie gegebenenfalls mithilfe eines Lösungsblattes.

 

Haltestelle

 

Ist die Aufgabe abgeschlossen, können nun weitere Aufgaben im gleichen Team gelöst werden. Die Haltestelle ist als Methode der Gruppenfindung fächerunabhängig und kann schon ab Klasse 1 problemlos eingesetzt werden.

Der Vorteil für die Lernenden besteht darin, dass sie mit einem Partnerkind arbeiten, das ein ähnliches Arbeitstempo hat. Das kann sowohl auf leistungsstarke als auch auf leistungsschwache Kinder sehr motivierend wirken. Allerdings ist auch denkbar, dass es Kinder unter Druck setzen kann, wenn sie die Aufgabe erst ganz zum Schluss lösen und das vorletzte Kind schon an der Haltestelle wartet.

Alternativ können sich an der Haltestelle auch Gruppen aus drei oder vier Kindern formieren, um gefundene Lösungswege zu vergleichen. In Kleingruppen bieten sich vor allem komplexere Aufgaben an, die mehrere Lösungswege zulassen.

Die Haltestelle kann darüber hinaus auch in der Freiarbeit eingesetzt werden und mit einer „Wartebank“ mit einer festgelegten Anzahl von Sitzplätzen (z.B. drei) ergänzt werden. In diesem Sinne fungiert die Haltestelle ähnlich wie die „Helping Hand“ als Tool zum Classroom-Management. Kinder, die eine Frage zu ihrem Lerninhalt haben oder nicht weiterkommen, können sich zur Haltestelle neben dem Tisch der Lehrkraft begeben und sich auf einen freien Warteplatz setzen. Die Lehrkraft sitzt währenddessen am Tisch und klärt nacheinander die Fragen der Lernenden. So verliert man nicht den Überblick und hört seinen Namen nicht permanent durch den Raum hallen. Angenehm!

Erkenntnisse auf dem Weg zur Professionalität

  • Habe IMMER Alternativen parat. Schon bei der Unterrichtsplanung sollte man den Supergau für das eigene Vorhaben durchdenken und konkrete alternative Handlungsweisen definieren (und ggf. Material dafür vorbereiten, falls notwendig), um flexibel auf Änderungen reagieren zu können. Als alle Kinder sagten, die Schreibung ihres Namens sei ihnen egal, hätte ich einfach selbst Beispiele nennen können, wo die Rechtschreibung von Wörtern wichtig ist.
  • Reduziere dein Material auf den konkreten Standard der Stunde. Das Lernwörterheft ist ein ganzer Batzen an Lernmaterial und kann besonders auf jüngere Kinder demotivierend wirken. Statt die Kinder direkt damit arbeiten zu lassen, wäre es für meine Stunde sinnvoller gewesen, das Trainieren der Abschreibreihenfolge stärker in den Fokus zu rücken. Dafür hätte ein Arbeitsblatt genügt, das nur ein Lernwort enthält, das alle Kinder gemeinsam mit mir in der vorgegebenen Reihenfolge (ab-)schreiben.
  • Nimm dich nicht zu ernst. Dass mir der versemmelte UB so nahe gehen konnte, dass ich nicht mehr in der Lage war, meine Emotionen zu kontrollieren, war erschreckend für mich. Warum hatte diese Situation so viel Power, mich für eine Weile komplett aus der Bahn zu werfen? Natürlich ist eine solche Beurteilungssituation immer als Ausnahmezustand zu werten, für den man für gewöhnlich noch keine günstigen Umgangsstrategien entwickelt hat, weil es nunmal eine Ausnahme bildet. Doch das war nicht der einzige Grund. Hier spielten ganz klar überhöhte Erwartungen an mich selbst, defizitorientierte Perspektiven auf mein Handeln und nicht zuletzt die gefühlte Belastung der letzten Wochen die Hauptrollen. Und dass diese negativen Denk- und Handlungsstrukturen überhaupt die Kontrolle übernehmen können, liegt daran, dass ich das System und meine Rolle darin viel zu ernst nehme. Das ist nie gesund auf Dauer. Vor allem dann nicht, wenn ich meinen Lerngruppen predige, dass die Schule als Lernort ein großes Probierfeld ist, auf dem Fehler erwünscht sind und für mich selbst jedoch eine gegenteilige – wenn auch häufig unbewusst genutzte – Strategie anwende. Practise what you preach.

Ratschläge und Leitsätze für alle Lehrkraft-Neulinge

In den Episoden 7 bis 10 geht es um Dinge, die man als Lehrkraft vermeiden sollte. Die Ratschläge stammen von meinen Seminarleitungen und wurden demnach ausschließlich von Personen mit langjähriger Praxiserfahrung geäußert. Mir persönlich haben sie schon oft geholfen, weswegen ich sie gerne teile.

 

No Gos als Lehrkraft

  • Methoden-Monotonie: Unter Berücksichtigung der kindlichen Aufmerksamkeitsspanne sollte in jeder Unterrichtsstunde alle 10-15 Minuten ein Wechsel der Methoden eingeplant werden. Damit ist nicht gemeint, dass die Lernenden ihr Lernmedium komplett wechseln sollen, sondern beispielsweise, dass sie in verschiedenen Sozialformen agieren und dabei unterschiedliche Kompetenzen angesprochen werden (z.B. vom Plenum in die Einzelarbeit, von dort aus in die Gruppenarbeit und abschließend zurück ins Plenum >> Think-Pair-Share).
  • W-Fragen: Wer W-Fragen stellt, bekommt langweilige Antworten. Fragen, die mit “wie”, “warum” oder “was” beginnen, schränken die möglichen Antworten der Lernenden häufig bereits extrem ein und fallen damit in die Kategorie “Sag das, was ich hören will”. Durch diese implizite Lenkung verbauen W-Fragen wichtige kreative Denkprozesse bei den Lernenden. Stattdessen gilt es, Impulse zu geben, beispielsweise durch irritierende oder widersprüchliche Aussagen, durch Bildmaterial, das zum Sprechen anregt und durch die Nutzung offener Operatoren wie “Äußere dich dazu”.
  • Fehler rot markieren: Bei der Korrektur von Texten haben wir ganz schnell den Rotstift zur Hand. Das ist allerdings nicht besonders förderlich im Sinne einer positiven Fehlerkultur. Der eigentliche Fokus sollte nicht darauf liegen, was das Kind nicht kann, sondern darauf, was es kann. Dass dieser Ansatz bei einem Diktat, bei welchem es darum geht, Wörter richtig zu schreiben, eher nach einem Witz klingt, ist mir klar. Dennoch gibt es gute Alternativen, Fehlerstellen aufzuzeigen, ohne diese bedrohlich hervorzuheben. Zum Beispiel nutzt man einen grünen Stift und hebt besonders gelungene Bereiche mit einer kleinen Notiz oder Smileys hervor. Bei Rechtschreibfehlern schreibt man die richtige Schreibweise in grün unterhalb die fehlerhafte Schreibung, anstelle den Fehler zu unterstreichen. Das sieht nicht nur netter aus, sondern spiegelt dem Kind den konkreten Unterschied zwischen beiden Schreibweisen und gibt ihm eine faire Basis, das Wort in einer anschließenden Korrektur richtig zu schreiben. Weiterhin soll das Kind dadurch motiviert werden, die Fehlerstelle anhand des Vergleichs der Schreibweisen selbstständig zu entdecken und zu korrigieren. Diese Fehleranalyse sollte besonders bei jüngeren Kindern von der Lehrkraft angeleitet werden, indem beispielsweise gemeinsam Stolperstellen in fehlerhaften Wörtern gesucht und markiert werden und Rechtschreibstrategien angewendet und vertieft werden.

Was zu sagen bleibt…

Alles geht in rasanten Schritten voran und manchmal fühle ich mich zu langsam, um das Tempo zu halten, was mir von außen vorgegeben wird. Das hinterlässt ein ungutes, diffuses Gefühl. Daran sind wahrscheinlich eher meine verkopfte und emotionale Herangehensweise und mein unrealistischer Anspruch an mich selbst schuld als die tatsächlichen Umstände. Es fühlt sich stellenweise an, als würde ich eine zweite Pubertät durchlaufen – “work in progress” steht auf meiner Stirn und ich muss auf eine neue Weise lernen, mit Gefühlen und Herausforderungen kompetent umzugehen.

Im nächsten Bericht erzähle ich von den letzten Wochen vor den heiß ersehnten Sommerferien. Bis dahin schließe ich mit den Worten des großen Tagebuchschreibers Bert:

“Alles ok, Kartoffelpüree!”[2]


[1] Augsburger Puppenkiste (2021): Dr. Kasperls Coronatest-Anleitung (YouTube).

[2] Jacobsson u. Olsson (1996): Berts gesammelte Katastrophen. Oetinger Verlag.

Autorin: Carla

Für etwa drei Jahre schrieb ich Artikel für das phase6 Magazin und das Lehrkräfte Magazin. Mit besonderer Vorliebe widmete ich mich dabei spannenden Themen der pädagogischen Psychologie in Theorie und Praxis. Während meines Referendariats an einer Berliner Grundschule schrieb ich Erfahrungsberichte und gab einen Einblick in meinen Schul- und Ausbildungsalltag. Mittlerweile befinde ich mich in der turbulenten Berufseinstiegsphase und darf eine jahrgangsgemischte Lerngruppe an einer montessori-orientierten Grundschule in Berlin unterrichten.