Als Lehrkraft gehört es zu Ihrem Job, täglich unzählige Fragen von Lernenden zu beantworten. Das Antworten und Erläutern gehört sozusagen zu Ihren Kernkompetenzen. Genau diese wollen wir nutzen – nur stellen hier nicht die Schülerinnen und Schüler die Fragen, sondern Erwachsene.

Sie selbst wissen, wie wichtig der regelmäßige Austausch im Kollegium für Ihre persönliche Entwicklung ist. Mit der Serie “Nachgefragt!” möchte phase6 Lehramtsstudierenden, Personen im Referendariat und ausgebildeten Lehrkräften eine Plattform bieten, in der ein Austausch über essentielle Fragen zum Lehrberuf stattfinden kann. 

Wir fragen – Lehrkräfte antworten. Dieses Mal zur Frage:

„Was sind die größten Irrtümer über den Lehrberuf?“

 

Lydia unterrichtet Englisch und Französisch an einer Berliner Grundschule.

Das größte Klischee ist wohl, dass Lehrkräfte nachmittags frei haben und sämtliche Wochen Ferien pro Jahr im Urlaub verbringen können. Dieser Auffassung kann ich so nicht zustimmen! Der Unterricht endet zwar für viele Lehrkräfte bereits am Nachmittag, doch darf nicht vergessen werden, dass es anschließend noch Unterricht vorzubereiten gibt und Klassenarbeiten zu korrigieren sind. Besonders in der Oberstufe ist der Korrekturaufwand enorm und beansprucht lange Abende oder auch mehrere Wochenenden. 

Man sollte meinen, dass man spätestens nach ein paar Jahren im Lehrberuf einen guten Fundus an Unterrichtsmaterial gesammelt hat, was auch stimmt, jedoch konzipiert eine gute Lehrkraft ihren Unterricht entsprechend ihrer Lerngruppe, welche von Jahr zu Jahr anders ist. Nicht alle Methoden, Aufgaben, Tests und Themen kann ich also 1-zu-1 übernehmen, sondern passe sie immer wieder neu an. Bei der Unterrichtsplanung ist es wichtig, mit der Zeit zu gehen, aktuelle Themen aufzugreifen und die Klasse stets im Blick zu behalten. Es muss im Voraus geplant und Material gesichtet werden. Diese Zeit nehme ich mir, wie viele Lehrkräfte, oft in den Ferien, um das neue Schuljahr vorzubereiten. Die einzelnen Stunden werden abends oder am Wochenende ausführlicher geplant.

Nebenbei kommen weitere Verpflichtungen hinzu, wie z.B. Konferenzen, Schulfeste, Fortbildungen und Elterngespräche, welche in der Regel außerhalb des Unterrichts stattfinden. Die Klassenleitung hat natürlich noch viel mehr organisatorische Aufgaben (Beratungsgespräche, Zeugnisse schreiben, Klassenfahrten planen und durchführen) und steht immer im engen Austausch mit den Eltern und dem Kollegium – auch nach dem Feierabend.

Natürlich gibt es Ausnahmen, aber viele Lehrkräfte sind auch am Abend, am Wochenende oder in den Ferien mit schulischen Angelegenheiten beschäftigt. Diese Tätigkeiten werden von Außenstehenden jedoch kaum wahrgenommen.

Kim unterrichtet die Fächer Deutsch und Arbeitslehre an einer integrierten Gesamtschule in Hessen.

„Lehrer haben vormittags recht und nachmittags frei.“ Dieser nimmermüde Spruch stammt bestimmt aus den 60er Jahren, als Lehrer noch Kinder an den Ohren hochziehen oder deren Mäppchen aus dem Fenster schmeißen durften. Dass die Realität heute ganz anders aussieht, wissen wir wohl alle: Nachmittagsunterricht ist unser tägliches Brot, wenn der nicht ist, ist Konferenz oder Dienstversammlung.

Gerade Klassenlehrerinnen und -lehrer wissen, dass der Lehrberuf durchaus anstrengend und teilweise über die Maßen fordernd ist. Mir platzt die Hutschnur, wenn ich höre, dass Lehrkräfte überbezahlt seien und 12 Wochen Ferien im Jahr haben. „Unterrichtsfreie Zeit“ passt da wohl eher, denn arbeiten müssen wir auch in den Ferien, wenn auch nicht in der Schule.

Wir seien daran schuld, dass die Kinder nichts lernen, dass sie sich nicht benehmen können, dass sie nichts wollen. Wir würden doch super bezahlt und leisten dafür zu wenig. Landläufige Meinungen. Biete ich aber jemanden an, mal eine Woche mit mir den Job zu tauschen, möchte das dann doch keiner. Auch Ausbildende fragen in Gesprächen, was wir denn den Kindern beibringen, die könnten ja heute viel weniger als früher.

Ich höre aber auch viele Stimmen, die sagen: „Ich möchte nicht mit Ihnen tauschen, das muss doch heute die Hölle sein!“ Ist es auch, manchmal zumindest. Ich wollte eigentlich niemals Lehrerin werden, da ich meine Praktika in einem 10. Hauptschuljahr an einer Brennpunktschule absolviert hatte. Das ist 20 Jahre her und ich fand die Jugendlichen damals ganz furchtbar. Heute weiß ich: Die waren gar nicht so schlimm!

Nach Kindererziehungszeiten bin ich mit 37 Jahren recht spät ins Referendariat gerutscht, stellte aber schnell fest, dass das mein Beruf ist. Was ich von dem, was ich damals an der Uni gelernt habe, für diesen Beruf brauchen konnte, habe ich bis heute nicht verstanden. Theoretischer Kram, den ich in der Praxis nicht brauchen kann. Noch heute höre ich von Lehramtskandidaten, dass das größtenteils immer noch so ist. Mehr Praxissemester wären sicher sinnvoll.

Natürlich hatte ich gehofft, dass das oben genannte Sprichwort stimmt und ich vormittags in die Schule gehe und nachmittags frei habe. Hat auch ein paar Jahre funktioniert, bis die Ganztagsschulen kamen. Heute habe ich zweimal in der Woche Nachmittagsunterricht und am Tag dazwischen Konferenz. Dazu kommen Elterngespräche nach Dienstschluss, Besuche beim Jugendamt, der Polizei oder anderer Stellen. Abends noch ein paar Telefonate mit Eltern oder Kollegen, Korrekturen, Wettbewerbsteilnahmen organisieren, dann ist irgendwann Feierabend, der zur Unterrichtsvorbereitung genutzt werden muss, weil sonst keine Zeit bleibt. Klassenlehrerinnen und -lehrer sind hier übrigens besonders belastet und sollten daher auch besser bezahlt werden.

Der Lehrberuf an sich ist sicher noch attraktiv, hat sich aber in den letzten Jahren sehr verändert, was die Belastung beziehungsweise Überlastung der Lehrkräfte angeht. 

Franziska unterrichtet seit August 2019 an einem Berliner Gymnasium Englisch und Deutsch.

Die in meinen Augen zwei größten (und auch unfairsten) Irrtümer über den Lehrberuf manifestieren sich tagein, tagaus in zwei Aussagen:

  1. „Lehrkräfte müssen zwar früh aufstehen, aber haben dafür ja auch immer früh Schluss.“
  2. „Die ersten Jahre muss man viel vorbereiten, aber dann kann man ja alles wiederverwenden.“

Warum gerade diese beiden Annahmen so unfair sind? Zum einen beginnt das Lehrkräfte-Dasein weder erst mit dem Betreten des Schulgebäudes noch endet es mit Unterrichtsschluss nach Stundenplan. Viele Lehrkräfte sind schon lange vor dem eigentlichen Unterrichtsbeginn bzw. noch bis in die Abendstunden in der Schule, um Unterricht vor- und nachzubereiten, an Konferenzen teilzunehmen, Elterngespräche zu führen, Akten von Lernenden zu wälzen oder schlichtweg, um Klassenarbeiten und Klausuren zu korrigieren. 

Die Beschäftigung mit Schule und Unterricht in der Freizeit mag vielen wie ein Mythos der überaus ambitionierten Lehrkraft vorkommen, ist aber – zumindest meinem Empfinden nach – in mindestens 75% der Fälle Realität. 

Zum anderen mag es zwar stimmen, dass die ersten Jahre im Hinblick auf die Materialbeschaffung am aufwendigsten sind, jedoch ändern sich sowohl Unterrichtsmethoden als auch die Rahmenlehrpläne und Schwerpunktthemen immer wieder. Somit erfordert der Lehrberuf natürlich auch, sich über Änderungen zu informieren und im Zuge dessen das bereits erstellte Material zu modifizieren, sofern man dieses überhaupt noch gebrauchen kann.

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Und was ist mit Ihnen?

Wie würden Sie die oben stehenden Fragen für sich beantworten? Die Antworten der Autorinnen und Autoren spiegeln ihre jeweiligen Erfahrungen und Standpunkte wider. Vielleicht haben Sie eine ganz andere Perspektive auf die Dinge oder gar gegenteilige Erfahrungen gemacht. Falls Sie weitere Anmerkungen, konstruktives Feedback oder Fragen zum Beitrag haben, schreiben Sie uns gerne über das Kontaktformular ganz unten auf der Seite.

Lesen Sie auch die Antworten zu anderen Fragen der Serie:

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Lydia

Lydia hat die Fächer Englisch und Französisch in Potsdam auf Lehramt (Grundschule und Sekundarstufe I) studiert und zwei Semester in Frankreich im Rahmen des Erasmusprogramms verbracht. Neben dem Studium absolvierte sie viele Praktika und Nebenjobs im schulischen und außerschulischen Bereich. Durch das Leiten von Lern- und Sprachförderungen an Berliner Grundschulen, durch Methodenworkshops und den Einsatz als Sprachlernassistenz in einer Willkommensklasse sowie im Praxissemester an der Deutschen Schule in Genf konnte sie erste Praxiserfahrungen sammeln. Das Referendariat, welches Lydia an einer ISS mit gymnasialer Oberstufe absolvierte, prägte sie sehr. Die Höhen und Tiefen im Vorbereitungsdienst stärkten die junge Lehrerin in ihrer Lehrpersönlichkeit und sorgen nun für Vorfreude auf den Schulalltag als ausgebildete Lehrkraft in Berlin seit dem Schuljahr 2019.

Kim

Kim arbeitet seit fast 20 Jahren als Lehrerin an einer integrierten Gesamtschule in Hessen. Sie startete erst mit 37 Jahren ins Referendariat, unterrichtet seitdem Deutsch und Arbeitslehre in der 7. bis 10. Jahrgangsstufe und übernimmt die Klassenleitung. Die Arbeit mit Intensivklassen macht ihr seit ein paar Jahren besonders viel Spaß, denn die Lernerfolge werden mit den geflüchteten Kindern und Jugendlichen schnell deutlich. Da Kim selbst drei Kinder hat, weiß sie gut, wie diese im pubertären Alter ticken. Neben gutem Unterricht sind ihr intensive Elternarbeit sowie eine fundierte Vorbereitung ihrer Schülerinnen und Schüler auf das Leben besonders wichtig. Kims Steckenpferd ist die Nutzung außerschulischer Lernorte und die regelmäßige Teilnahme an Schulwettbewerben – So konnten schon viele Jugendliteraturpreise und Fotowettbewerbe gewonnen werden.

Franziska

Nach dem Master of Education an der Humboldt-Universität zu Berlin startete Franziska im Schuljahr 2019 in den Vorbereitungsdienst an einem Berliner Gymnasium. Die Liebe zu ihren Fächern Deutsch und Englisch verstärkte sich insbesondere durch diverse Auslandsaufenthalte (Erasmus in England, Schulpraktika an der Deutschen Schule in Rio de Janeiro und der Deutschen Schule in Porto) und Praktika im Goethe-Institut und einer privaten Sprachschule. Dank dieser verschiedenartigen Kulturkreise und Schul- und Unterrichtsformen sowie ihres studentischen Nebenjobs bei “Studenten machen Schule” und “Schule Plus” konnte Franziska bereits viele Unterrichtserfahrungen sammeln. All diese Erfahrungen steigern ihre Vorfreude auf das Referendariat und den Lehrberuf.

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